Sonntag, 22. April 2012

Polarlicht in der Ionosphäre, ohne die Wellen nicht zurück gebrochen würden auf die Erde
Man kann das Leben kaputt denken, sich abkapseln in einen Kokon und brüten und warten und spinnen und hoffen auf die Metamorphose, die vielleicht nie kommt.

Ich erlebe gerade den Irrsinn, das alles in jenen Tag kulminiert, wo man aufbricht und in "See sticht":  Ein komisches Wort, das ins Herz sticht. Ich mache mir die gleichen Gedanken wie ein alter Mensch, ob noch dieser oder jener Gegenstand bis zu dem Tag hält, der Telefonakku noch durchhält, ob mein Klappbett noch die Tage übersteht, das Auto usw.  Das hat etwas von der Einbahnstraße, dem Irrsinn, dem alte Menschen oft aufgesessen sind, wenn sie wie hypnotisiert auf ihre letzte Reise starren, sich kein Auto mehr kaufen, weil es sie vielleicht überleben könnte, alles keinen "Sinn mehr macht". Ich bin wirklich glücklich darüber, dass mein Vater sich gerade einen schönen iMac gekauft hat. Lohnt es sich noch, ein Bäumchen zu pflanzen? Ja. Meine Frau lebt mir das täglich vor. Sie ist zwar auch aufgeregt vor unserer großen Reise, aber sie lebt jetzt und hier in unserem Wald, als würde es immer so bleiben. Meine Seele ist schon auf dem Meer, fühlt sich aber nicht wohl, ist zerrissen zwischen dem Jetzt, und dem Wissen, dass ich von vielem Abschied nehmen werde und muss. Um etwas Neues in die Hand zu nehmen, muss ich altes loslassen. Es ist mir alles klar, aber das Herz hängt an dem alten, während die Seele los will. Ich will meinen Frieden finden, Einheit von Herz und Seele, Menschen ihr eigenes Leben leben lassen, sie und mich in Ruhe lassen. Ich verstehe immer weniger den Antrieb, aus dem Menschen um mich herum leben oder auch nicht leben. Und oft weiß ich nicht, aus welchem Antrieb heraus ich das jetzt alles tue. Es ist nicht nur Neugier, es ist auch eine kleine Flucht nach vorne, weg vor der Angst vor Leere, in die ich stürzen würde, wenn ich nur irgendwo im Eckchen sitze und denke und schreibe (weil ich keine Musik mehr spielen kann und will), euch schreibe, Wellen in den Äther sende in der Hoffnung, sie würden auf Antennen treffen, die in der richtigen Länge in Resonanz mit den Wellen meine empfangen können und vielleicht Antworten zurück senden. Aber ich will gleichzeitig nicht mehr diese Intensität, diese anstrengende Tiefe von Antworten auf die brennenden Fragen. Ich schreibe hier niemandem direkt, sondern ziellos den Voyeuren dieses Blogs, die vielleicht selber auf der Suche sind, hier zwischen den technischen, materiellen Dingen sich ein wenig in demjenigen wieder finden, der sich gerade aufmacht, weg aus dem Gewohnten, ins Unbekannte aufbricht, auf der Suche zu sich und seiner Beziehung zur Welt, zur Liebsten. Das ist alles, was nach einem aufgabenreichen Leben übrig bleibt, die Beziehung zu dem oder den Menschen, und die Liebe, die man gibt und die man vielleicht nehmen darf. Es macht mich immer wieder unruhig, dass ich weglaufe, wegfahre, meine Antennen so weit vom Land wegbringe, dass sie nur noch (Meeres)rauschen empfangen. Seltsame Parallelen zu den letzten Tagen, in denen ich mich bis auf den Grund mit Kurzwellenempfang auseinander gesetzt habe. Es ist Anachronismus in dieser Welt von Internet und email, wieder einen 24 m langen Draht auf dem Dach zu spannen, und wie ein kleines Kind zu staunen, dass man da deutsch gesprochene Kommentare aus China hören kann, die nicht im (zensierten) Internet zu finden sind. Und Wetter Hieroglyphen aufzufangen, die die Software anschließend zu verständlichen Wetterkarten umbauen kann. Ich hörte tagelang nicht mehr die Vögel zwitschern, sondern nur noch diese Faxtöne, RTTY-Signale. Wenn da draußen auf dem Atlantik der Satelliten-Datenempfang mit nur 2400 Baud uns in die Steinzeit zurück katapultiert, der Empfang von 80 Kb ein paar Euro kostet, besinnt mann sich auf die gute alte Kurzwelle. Und das ist eine Welt für sich. Ein Haufen Unerklärliches, Ringkerne, Mantelwellen, Abschirmung und ja, sogar eine Seele im abgeschirmten Kabel. Es gibt da männliche Stecker und weibliche Buchsen. So viel menschliche Begriffe für die Hardware.  Jeder Funker schwört auf seine eigenen, selbstgebauten Antennen. Und wenn die am Sonntag morgen losziehen irgendwo auf einen Berg, ihr kleines Empfangswunder aus dem Rucksack nehmen und in den Äther lauschen, hat das etwas von einer heiligen Zeremonie, mit der da unten im Tal in den Kirchen die Menschen ebenso auf eine Antwort aus dem gleichen All bitten.
Ach ja, es ist Sonntag heute. Ich werde jetzt meinen Schreibtisch von Aktivantennen, Drähten, Kabeln und den kleinen Wunderboxen (WIBE, Radiojet, Comar) endlich befreien,  alles in Kisten und Koffer verstauen, und dann erst wieder auf dem Schiff lauschen, was da ankommt, vielleicht gelegentlich auch aus einer Funkrunde in der Karibik, wo es sogar deutsche ("Sauerkraut"-)Runden morgens und abends gibt. Vielleicht ist eine gute Info mal dabei. Aber was ist schon interessant ausser dem Wetter. Wo das Bier billig ist, wo wer beklaut wurde?  Für mich ist vielleicht gar nichts dabei...  ausser dem Wetter...