Samstag, 6. Oktober 2012

Wir segeln weiter

19.45 Uhr. Es sieht zwar so aus dass wir am Festland anlegen, aber das liegt daran , dass wir gegen den Wind nach suedwest kreuzen müssen , wir fahren weiter bis Málaga. Wir sind unter Aufsicht der Küstenwache, die hier in der Gegend ein Flüchtlingsboot mit 28 Afrikanern suchen.

Von meinem iPhone gesendet

Zufrieden

Wir sind die zweite Nacht unterwegs und zu einer guten Crew zusammengewachsen. Ich bin dankbar dass ich die drei um mich habe und wir uns fuer diese 450 Seemeilen (ohne Unterbrechung) gut verstehen. Es gab heute mehrere lange Phasen wo ich absolut gluecklich war und nichts anderes wollte als auf diesem Schiff zu sein. Solche positiven Phasen sind so wichtig, um die negativen Erlebnisse zu überspielen, auszulöschen. Das geht nicht nur mit dem Kopf und Analyse warum was wie passiert ist. Ich konnte jetzt endlich den Widerstand gegen jene Umstände aufgeben, die ich nicht ändern kann, das JETZT annehmen, mich hingeben, nur das Naheliegende tun, den Verstand mal abschalten und keine Probleme haben. Auch jetzt bin ich eins mit dem Rauschen des Meeres unter mir im Trampolin, in der tiefschwarzen Nacht ohne Mond und Sterne einfach nur zufrieden mit mir und dem Wind und wie die Segel stehen so dass die anderen auf einem schönen Kurs gut schlafen können. Es tut mir nicht weh, das ich diesen Moment mit niemand teilen kann. Er ist nur für mich da. Nichts mehr brauche ich als das was jetzt ist. Nicht mal Schlaf um drei Uhr morgens. Der Mond ist aufgegangen, der Nachtnebel lichtet sich. Nirgendwo sonst ist ein wenig Glanz auf den Wellen so beruhigend wie hier draußen über hundert Kilometer vom Land entfernt. Ich roll mich nun auf dem Netz zusammen und lasse mich alle 15 Minuten vom iPhone wecken für einen Rundumblick. Es ist aber außer einem manövrierunfähigen Frachtschiff die ganze Nacht nichts zu sehen.
Um vier Uhr haben wir den Greenwich 0 Grad überschritten; nun sind wir auf der westlichen Hälfte der Erdkugel.
Freya und Raphael haben sich nach der 2. Nacht auf See schon an dieses Leben gewöhnt, gut geschlafen. Mir geht es gut, wenn es der Crew gut geht. Besser wäre ich davon ganz unabhängig, aber diese von meinem Vater geerbte, vielleicht übertriebene Eigenschaft kann ich nur schwer ablegen. Da ist er wieder, der (ver)urteilende Verstand. Nein, ich bin hier im Jetzt und bin so wie ich bin, ein Fisch von Millionen, bedeutungslos glücklich. Im spiegelglatten Meer jagen Delphine einen Fischschwarm, der in der Luft zu entkommen versucht. Kein Wind, 0,5 Knoten Geschwindigkeit, das ist wohl die Strömung. Egal, ob wir noch ein oder zwei Nächte hier auf See verbringen. Zeit fuer ein Morgenbad in der 23 Grad warmen riesengrossen Badewanne. Soweit das Auge blickt habe ich sie erst für mich allein, und dann kommt Raphael dazu, genießt es offensichtlich. Er hatte vorgestern Geburtstag und hat sich so gefreut über die Glückwünsche der Familie via Satelliten-Telefon. Auf dem Meer zu sein war sein grösstes Geschenk.
Meine Gedanken schweifen schon wieder ueber den Horizont, statt einfach mal hier zu bleiben. Ist Thomas gut in der Schweiz angekommen? Seiner Spontanität verdanke ich, dass es überhaupt weitergegangen ist. Er wird uns nun auf dem Atlantik fehlen. Immer hat alles seinen Preis sagt der Kopf schon wieder laut und verdirbt mir die positive Energie. So sehr habe ich die positiven Erlebnisse auch Monika gewünscht, so wie sie mir die Zufriedenheit in unserem Garten in der Waldstille gewünscht hat. Alles hat seine Zeit. Und alles seinen Sinn - wie die Schmetterlinge, die seit Tagen mitfliegen und doch keine Blumen an Bord finden. Sie werden aber einen Grund dafür haben. Traurig macht mich wieder nur der Verstand, der meint, ihnen müssten die Blumen doch fehlen. Versteht ihr? Ich habe ihn erwischt , entlarvt, und schon entkommt mir der Verstand wieder, macht sich auf den Weg, nach Malaga/Gibraltar. Was werde ich dort vorfinden, was kostet welche Marina - Alternative Ankern? Kann ich den Internetstick wieder reanimieren, um Infos für die Strasse von Gibraltar zu holen Und so weiter usw.... Klar, alles wichtiger als der Moment jetzt und hier , oder? Der Verstand hat immer "Recht" . Aber diesmal lasse ich nicht zu dass er mich aus meiner Zufriedenheit entführt oder mich warnt, hey, das ist alles Bullshit den du da gegen mich auffährst und dann auch noch im Blog, das will doch keiner wissen so'n Schwachsinn. Mag sein... Mir ist es wichtig, sehr sogar, lebenswichtig. Jeden Tag werde ich auf meiner Reise beobachten, wo er mich manipuliert, Übermacht gewinnt und Lebensfreude frisst. Ich bin mitten im Paradies und doch hält er mich immer wieder fest im Griff, gefangen im Unterbewusstsein, spielt gut getarnt sein Spiel mit mir, getarnt im Mantel der Vernunft, der Verantwortung für meine Liebsten, Haus, Boot, Finanzen usw. bis ich mich ohnmächtig ergebe. Er wechselt sein Gewand wenn ich ihn wieder erkannt habe. Fragt mich dann, was ich Sinnvolles tue, für wen ich wichtig bin, ob mich überhaupt jemand braucht. Ich bin was ich bin, ob brauchbar oder nicht für wen - das spielt hier jetzt keine Rolle. Ich tue was hier jetzt zu tun ist, ohne Internet und die ganzen "Aufgaben", die kleinen Manipulationen an meinem Zufriedenheitszustand. Das ist Freiheit - frei vom Verstanddenken ! Verstanden? Ich denke, also bin ich - falsch! Wenn ich denke bin ich NICHT. Gerade höre ich Vogelzwitschern, Singvögel, ich BIN in der Nähe von Land, auch wenn es noch unsichtbar ist. Laute quirlige Menschen werden dort wie die Ameisen irgendetwas tun, weil es ihre Königin so will. Mit allen Mitteln des Verstandes werden sie davon abgehalten, sich der Manipulation durch Medien, vernünftige Investments, Altersvorsorge zu entziehen, frei zu sein, jetzt zu leben. Ein Mensch der vernünftig denkt, ist kalkulierbar, brauchbar für die Ziele der Mächtigen.
Jetzt kommen neben den Stubenfliegen die weiteren Vorbooten der Landnähe in Sicht: riesige Frachter mit Aufbauten wie kleine Städte. Ich habe jetzt zu tun und Drücke einfach auf "senden"